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Serie: „S4F-Saarland Expertenantwort“ Saarbrücker-Zeitung vom 08.10.2021

Dank des Klimawandels taut der Permafrost – Böden, die seit tausenden von Jahren gefroren waren. Wieso das sehr gefährlich ist, erklären unsere Klimaexperten. Antwort von Prof. Dr. Lieselotte Diester-Haass, S4F-Saarland – Bearbeitet von Aline Pabst, Saarbrücker-Zeitung

Wissenschaftler weisen immer wieder besorgt darauf hin, dass der Klimawandel den Permafrost zum Tauen bringt. Aber wieso ist das überhaupt schlimm?

S4F: „Permafrost – ewig gefrorener Boden – gibt es in Hochgebirgen und im arktischen Raum von Sibirien über Kanada bis in die USA (Alaska), bei mittleren Jahrestemperaturen unter -2 Grad, sodass der Boden nur im Sommer oberflächlich auftauen kann. Diese Regionen sind Kältesteppen. Sie sind nicht vergletschert, sondern bedeckt von Gras und niedrigem Buschwerk, das nach Süden hin in Wald übergeht. Das bot für die Großsäuger der letzten ein bis zwei Millionen Jahre Nahrung.

Die Böden bestehen neben Wasser in Form von Eis teils aus Gestein, teils aus sandig-tonigem Material sowie aus Pflanzen- und Tierresten, also aus kohlenstoffreichem Material, besonders in Sibirien (Yedoma) [1; 2]. Die Böden sind seit mindestens einer Million Jahre tiefgründig gefroren, in Sibirien beispielsweise bis in eine Tiefe von über 1000 Meter.

Jedenfalls bisher. Während durch den menschengemachten Klimawandel die Mitteltemperatur global um 1,1 Grad gestiegen ist, erwärmte sich die Arktis bereits um 4 Grad [1]. Die Permafrost-Böden tauen heute ganzjährig auf und das Tauen dringt immer weiter in die Tiefe vor. Ganze Landstriche verwandeln sich so in Seen-Landschaften („Thermokarst“) [2]. Bakterien zersetzen organisches Material, das seit einer Million Jahre eingelagert wurde, unter Sauerstoff-Einwirkung zu CO2. In den tieferen Bereichen der Seen, wo Sauerstoff fehlt, wird organisches Material zu Methan abgebaut, das als Treibhausgas eine etwa 25-mal stärkere Klimawirkung hat als CO2. An der Luft oxidiert es allmählich ebenfalls zu CO2. Die Gesamtmenge an Kohlenstoff in den Permafrostböden ist mit 1307 Gigatonnen (eine Gigatonne entspricht eine Milliarde Tonnen) höher als der Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre (829 Gigatonnen). Das zeigt die Gefahr, die vom Tauen des Permafrosts ausgeht [2]. Die Permafrost-Regionen werden daher als Kipp-Punkte („tipping points“) im Klimasystem eingestuft [4].

Die Freisetzung des Kohlenstoffs ist nicht das einzige Problem. Daneben hat sich im Permafrost mit der Zeit Quecksilber aus Vulkanausbrüchen und – seit der Industrialisierung – aus Kohleverbrennung und Goldabbau angereichert. Durch das Tauen gelangt es nun in die Atmosphäre und von dort durch Niederschläge ins Grundwasser [5]. Da man Permafrost lange als idealer „ewiger Speicher“ betrachtete, wurden 1941 in Sibirien Milzbrandbakterien (Bacillus anthracis, englisch Anthrax) eingelagert. Die beim Tauen freigesetzten Erreger führten bereits zum Tod vieler Rentiere und Menschen [6]. Auch Infektionskrankheiten, die teils Jahrtausende im Eis konserviert waren, kehren durch den Klimawandel wieder zurück [7].

 

 Quellen:

[1] G. Grosse, V. Romanovsky, T.  Jorgenson, K.W. Anthony, J. Brown, P.P. Overduin: Vulnerability and feedbacks of permafrost to climate change. EOS Trans. Am.

Geophys. Union 92 (9), 73–74. http://dx.doi.org/10.1029/2011eo090001

[2]. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0012825217300508 – !Lutz Schirrmeister, Guido Grosse,  Daniel Fortier,  Gustaf Hugelius, Christian Knoblauch, Vladimir Romanovsky, Christina Schädel, Thomas Schneider von Deimling, Edward A.G.Schuu, Denis Shmelev, Mathias Ulrich, AlexandraVeremeeva: Deep Yedoma permafrost: A synthesis of depositional characteristics and carbon vulnerability, Earth-Science Reviews 172 (2017) 75-86, https://doi.org/10.1016/j.earscirev.2017.07.007

[3] Gavin A. Schmidt, NASA, Derek Arndt, NOAA, fassen den Bericht zweier US-amarikanischer Behörden zusammen, der NASA (National National Aeronautics and Space Administration, Luft- und Raumfahrtsbehörde) und der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration, der Wetter- und Ozeanografiebehörde) zusammen: Annual global analysis for 2018. (Februar 2019) (zuletzt aufgerufen am 15.09.2021)

[4] Stephan Rahmsdorf: Climate tipping points. Vortrag auf Einladung des Chaos Computer Club e.V., Hamburg, am 30.12.2020, https://media.ccc.de/v/rc3-11361-climate_tipping_points

[5] Kyra A. St. Pierre, Scott Zolkos, Sarah Shakil, Suzanne E. Tank, Vincent L. St. Louis,  and Steven V. Kokelj: Unprecedented Increases in Total and Methyl Mercury Concentrations Downstream of Retrogressive Thaw Slumps in the Western Canadian Arctic. Environ. Sci. Technol. 52 (2018), 14099–14109, https://doi.org/10.1021/acs.est.8b05348

[6] Elisa Stella, Lorenzo Mari, Jacopo Gabrieli, Carlo Barbante,Eenrico Bertuzzo: Permafrost dynamics and the risk of anthrax transmission: a modelling study. Scientific Reports 10 (2020) 16460, https://doi.org/10.1038/s41598-020-72440-6

[7] Audrey Waits,  Anastasia Emelyanova,,Antti Oksanen, Khaled Abass,,.Arja Rautio: Human infectious diseases and the changing climate in the Arctic,  Environment International 121 (2008) 703-713, https://doi.org/10.1016/j.envint.2018.09.042