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Serie: „S4F-Saarland Expertenantwort“ Saarbrücker-Zeitung vom 27.8.2021

Sind Extremwettereignisse wirklich auf die globale Erwärmung zurück zu führen? Mit dieser Frage beschäftigen sich die sogenannten Attributionswissenschaften. Ihre Erkenntnisse könnten klimaschädliche Unternehmen in arge Bedrängnis bringen.
Antwort von Prof. Dr. Karin Jacobs, S4F-Saarland – Bearbeitet von Aline Pabst, Saarbrücker-Zeitung

Geht es um extremes Wetter, ist häufig von „Attributionswissenschaften“ die Rede. Was ist damit gemeint?

S4F-Saarland: „Extreme Wetterereignisse wie Starkregen oder längere Hitze- und Dürreperioden gibt es seit Tausenden von Jahren in fast jeder Gegend der Erde. Hunderte von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die am neuesten Klimareport (Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) Report) mitgearbeitet haben, stellen fest: „Es ist so gut wie sicher, dass Hitzeextreme seit den 1950er Jahren in den meisten Landregionen häufiger und intensiver geworden sind, während Kälteextreme seltener und weniger schwerwiegend geworden sind, wobei mit hoher Wahrscheinlichkeit der vom Menschen verursachte Klimawandel die Hauptursache für diese Veränderungen ist. Einige der in den letzten zehn Jahren beobachteten Hitzeextreme wären ohne den Einfluss des Menschen auf das Klimasystem äußerst unwahrscheinlich gewesen.“[1]

Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte in verschiedenen Regionen weltweit bilden die Grundlage der Schlussfolgerungen des IPCC. [2,3,4]. Ob aber ein bestimmtes Extremwetterereignis wirklich auf durch die Menschen ausgestoßene Treibhausgase zurückzuführen ist und in welchem Maß, das ist Gegenstand der Forschung in den sogenannten Zuordnungs- oder Attributionswissenschaften [5]. Aktuell hat sich die Erde seit 1850 bereits um 1,2 Grad erwärmt. Detaillierte Klimamodelle berechnen, wie wahrscheinlich ein Wetterereignis an einem bestimmten Ort heute ist und ob dieses Ereignis möglich gewesen wäre bei Temperatur- und Kohlendioxidwerten der vorindustriellen Zeit. Kommt beispielsweise bei Tausenden von Simulationsläufen heraus, dass Starkregen in einer fiktiven Welt ohne Klimawandel nur alle 50 Jahre zu erwarten wäre, in der realen Welt aber alle zehn Jahre für diesen Ort und diese Großwetterlage, dann kann der Unterschied dem Klimawandel zugeordnet werden.

Dieses Extremwetterereignis ist also durch den Klimawandel fünfmal wahrscheinlicher geworden. Mit diesem Wissen können nun konkrete Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. Darüber hinaus könnten Verursacher von Treibhausgasen für Wetterphänomene haftbar gemacht werden. So führt beispielsweise ein peruanischer Landwirt seit 2015 einen Rechtsstreit gegen den deutschen Energiekonzern RWE. Weiteren Unternehmen oder ganzen Ländern drohen durch die Erkenntnisse der Attributionswissenschaften entsprechende „Klimaklagen“ [7,8].“

 

Quellen:

[1] Report des Weltklimarats IPCC, 2021: Summary for Policymakers. In: Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S. L. Connors, C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M. I. Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matthews, T. K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu and B. Zhou (eds.)]. Cambridge University Press. In Press. (August 2021). Aussage A.3.1, übersetzt auf Deutsch.

[2] D. Coumou and S. Rahmstorf, “A decade of weather extremes”, Nature Climate Change 2, 491 (2012); https://doi.org/10.1038/nclimate1452

[3]     P.A. Stott, D.A. Stone and M.R. Allen, “Human contribution to the European heatwave of 2003”, Nature 432, 610 (2004), https://doi.org/10.1038/nature03089

[4]     S. Rahmstorf and D. Coumou, “Increase of extreme events in a warming world” Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) 108, 17905 (2011), https://doi.org/10.1073/pnas.1101766108

[5]     F. E. L. Otto, “The art of attribution”, Nature Climate Chance 6, 342 (2016),  https://doi.org/10.1038/nclimate29712001

[6] F. Otto und B. von Brackel, „Wütendes Wetter. Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme“, 2019, Ullstein Verlag, ISBN 9783550050923.

[7]     Klage des peruanischen Bauern Lliya gegen RWE, verhandelt am Oberlandesgericht Hamm: https://www.olg-hamm.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilung_archiv/archiv/2017_pressearchiv/153-17-VT-peruanischer-Landwirt-RWE.pdf

Beschreibung des Falles beispielsweise in der ZEIT im November 2017: https://www.zeit.de/wirtschaft/2017-11/oberlandesgericht-hamm-bauer-peru-klage-rwe-klimawandel

[8]     Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 29.4.2021: „Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz teilweise erfolgreich“, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html