Den meisten Menschen ist Umweltschutz sehr wichtig, viele handeln jedoch nicht danach. Was hält sie ab? Mit dieser Frage haben sich Saarbrücker Forscher in einer Studie beschäftigt. Die überraschenden Ergebnisse dürften für politische Entscheidungen wichtig sein. Umweltfreundliches Verhalten – zum Beispiel Rad statt Auto zu fahren – hängt weniger von der inneren Einstellung der Menschen ab als von äußeren Rahmenbedingungen. Zu diesem Ergebnis kam eine aktuelle Studie des Zentrums für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme (Izes). Sie räumt auch mit der verbreiteten Vorstellung auf, dass der Mehrheit Nachhaltigkeit egal sei.
Schon mit dem Wort können viele nichts anfangen. „Suffizienz“ – was ist das denn nun wieder? Andrea Amri-Henkel von den S4F-Saarland hört die Frage nicht zum ersten Mal. Häufig wird der Begriff mit „Verzicht“ übersetzt. Das hat aber einen ungewollt negativen Beigeschmack, erklärt die Forscherin am Saarbrücker Institut für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme (Izes) und ist auch viel zu simpel. Die natürlichen Ressourcen zu schonen, sparsam mit Energie umzugehen, unabhängig von Statussymbolen und Konsumgütern zu sein und trotzdem gut, wenn auch vielleicht anders als bisher zu leben: All das lässt sich unter „Suffizienz“ zusammenfassen.
Amri-Henkel ist am Izes für das Projekt „Suzanna“ (Abkürzung für „Suffizienz-geleitete Angebote und Narrative“) zuständig. In dieser vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Studie ging Izes zusammen mit dem Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (Ikem) und dem Analyse-Dienstleister Arepo der Frage nach: Was hält Menschen eigentlich davon ab, umwelt- und klimafreundlicher, nachhaltiger, kurz: suffizienter zu handeln?
Mehrheit ist für Klimaschutz
Dafür befragten die Forscher 3088 Personen aus ganz Deutschland. Eine nicht neue, aber dennoch bemerkenswerte Erkenntnis: „Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist für Klima- und Umweltschutz und der Ansicht, dass es hier ein Umdenken braucht.“ So stimmten 69 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Der Klimawandel und andere Umweltprobleme bedrohen unsere Lebensgrundlagen“. Wirtschaftswachstum auf Kosten der Umwelt unterstützen daher nur 28 Prozent. Menschen, die Klimaschutz als Bevormundung empfinden, sind auch in der klaren Minderheit (27 Prozent) – obwohl die öffentlichen Debatten ganz anderes vermuten lassen. „Diese Gruppe tritt einfach wesentlich aggressiver auf“, sagt Amri-Henkel, besonders in den sozialen Netzwerken sei das regelmäßig zu beobachten.
Sind Umweltschutz-Bekenntnisse ernst zu nehmen oder kreuzen die Studienteilnehmer im Fragebogen das nur an, weil es besser klingt? Amri-Henkel schüttelt den Kopf. Zwar sind „sozial erwünschte Antworten“ selbst bei anonymen Befragungen in der Forschung ein bekanntes Problem, das allerdings durch das Studiendesign abgefedert werden könne. „Außerdem gibt es sehr viele Studien, die das große Umweltbewusstsein in der Bevölkerung regelmäßig immer wieder zeigen“, erklärt Amri-Henkel.
Fehlende Zeit und Geld sind wichtige Faktoren
Auch die Bereitschaft, sich nachhaltig zu verhalten, sei groß. Wichtig ist dabei vor allem, dass sich die Maßnahmen an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. „Das ist ein Hebel, um Klimaschutz zu befördern“, sagt Amri-Henkel. Beispiel Konsum: Eine überwältigende Mehrheit von 84 Prozent wünscht sich weniger Verpackungsmüll, fast ebenso viele wollen Produkte, die sich leicht(er) reparieren lassen oder nicht so schnell kaputt gehen. Die Realität sieht leider anders aus. Oder Thema Mobilität: „Die Leute wollen nicht unbedingt Auto fahren, sondern sie fahren Auto, weil es weniger Zeit braucht und praktischer ist.“ Die Mehrheit würde viel lieber Radfahren oder zu Fuß gehen, dazu seien aber kurze, sichere Wege notwendig.
Fehlende Zeit sei allgemein eine ganz wichtige Barriere für umweltbewusstes Verhalten – aber auch Geld. Bei der Frage: „Wie müssten sich die Rahmenbedingungen ändern, damit Sie gleichzeitig ein umweltfreundliches und gutes Leben führen könnten?“ geben 72 Prozent ein „angemessenes Einkommen“ an (siehe Grafik). Bessere Voraussetzungen durch die Politik fordern 71 Prozent, „mehr Vorbilder“ wünschen sich dagegen die wenigsten (18 Prozent). „Von der Politik wird immer kommuniziert, dass es Vorbilder braucht“, kritisiert Amri-Henkel. „Dabei sieht die Mehrheit die Politik in der Verantwortung.“
Studie sieht Politik in der Pflicht
Wenn es darum geht, die richtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu setzen, dürfe die Politik aber soziale Faktoren nicht außer acht lassen. So sei es besonders für Familien mit Kindern schwierig, den Weg zur Arbeit, Kita und Supermarkt mit Bus und Bahn zurückzulegen, da diese „Wege-Ketten“ in der klassischen Verkehrsplanung kaum eine Rolle spielten. Moderner Städtebau wäre demnach nicht nur ein Gewinn für den Klimaschutz, sondern auch Familien. Aber auch Menschen, die sich kein Auto leisten können, würden von einem besseren, günstigeren ÖPNV profitieren. Diese positiven sozialen Aspekte werden laut Amri-Henkel bisher kaum thematisiert: „Es fehlt einfach die Vorstellung davon, wie es anders sein könnte.“ Zu ähnlichen Ergebnissen kommt das Projekt auch bei den Themen Erwerbsarbeit und Wohnen.
Das wohl wichtigste Fazit der „Suzanna“-Studie lautet daher: Bei Klimaschutz sollte nicht ständig von Verzicht und Einschränkungen geredet, sondern die Vorteile für die Lebensqualität der Menschen betont werden. Die Ergebnisse des Projekts will das Izes Anfang 2024 in einem eigenen Magazin der breiten Bevölkerung zugänglich machen. Und auch Politiker hätten laut Amri-Henkel schon vor der eigentlichen Veröffentlichung Interesse signalisiert. Denn für die spielt die richtige Kommunikation schließlich eine ganz große Rolle.